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Die ursprünglich als Antidiabetika eingeführten SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin (FORXIGA; a-t 2013; 44: 1-3) und Empagliflozin (JARDIANCE; a-t 2016; 47: 65-6) sind inzwischen auf Basis entsprechender jeweils plazebokontrollierter Studien nicht nur zusätzlich bei Herzinsuffizienz (a-t 2021; 52: 92, 101-2), sondern auch bei chronischen Nierenerkrankungen zugelassen worden (a-t 2021; 52: 76-8 und 2023; 54: 77-8). Beide SGLT-2-Hemmer mindern bei überwiegend mit ACE-Hemmern oder AT-II-Blockern vorbehandelten Patienten mit chronischer Nierenerkrankung, darunter 67% bzw. 46% mit Diabetes, das Fortschreiten der Nephropathie hin zum terminalen Nierenversagen, Dapagliflozin senkt hier auch die Sterblichkeit. In Leitlinien werden SGLT-2-Hemmer für Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen inzwischen mit hohem Empfehlungsgrad angeraten, wenn die eGFR mindestens 20 ml/min/1,73 m beträgt und entweder gleichzeitig ein Typ-2-Diabetes, eine Herzinsuffizienz oder eine Albuminurie mit Albumin-Kreatinin-Quotient im Urin (ACR) von mindestens 200 mg/g vorliegt.
Offen bleibt unseres Erachtens, wie groß der Effekt der SGLT-2-Hemmer im Vergleich zu einer optimiertenStandardtherapie ausfällt, da die Studien hier Mängel aufweisen, so etwa bei der Blutdruckeinstellung, die jeweils bei einem Teil der Patienten unzureichend ist.
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Die Belastung der Umwelt durch Plastik ist unübersehbar. Allein die Gesundheitsindustrie hat 2023 weltweit rund 11 Millionen Tonnen Plastik verarbeitet. In Deutschland wird der Therapie-assoziierte Abfall, der bei der Behandlung des Diabetes mellitus mit Insulin anfällt, auf mindestens 1,2 Milliarden Teile pro Jahr geschätzt. Diese Hochrechnung beruht auf einer Untersuchung, bei der 68 Patientinnen und Patienten einer Diabetesschwerpunktpraxis drei Monate lang ihre therapiebezogenen Abfälle (Pens, Insulinpatronen, Lanzetten, Nadeln, Sensoren, Katheter u.a.) in der Praxis abgegeben haben.
Angesichts der Müllproblematik formulieren Anbieter von Arzneimitteln und Medizinprodukten zunehmend Nachhaltigkeitsziele.
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Im Oktober 2022 hat der Europäische Gerichtshof (EuGh) die Bedingungen präzisiert, unter denen ein Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (bilanzierte Diät) angeboten werden darf. Diese Einstufung trifft seitdem nur noch zu, „wenn krankheitsbedingt ein erhöhter oder spezifischer Nährstoffbedarf besteht, der durch das Lebensmittel gedeckt werden soll“. Es genügt demnach nicht, „dass der Patient allgemein aus der Aufnahme dieses Lebensmittels deswegen Nutzen zieht, weil darin enthaltene Stoffe der Störung entgegenwirken oder deren Symptome lindern“.
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Lungenentzündungen bzw. untere Atemwegsinfektionen machen den größten Teil der im Krankenhaus erworbenen Infektionen aus. Jede dritte nosokomiale Pneumonie ist mit einer maschinellen Beatmung assoziiert. Als Ursache gilt unter anderem die Aspiration von Keimen aus dem Oropharynx. Zähneputzen könnte nach einer kürzlich erschienenen Metaanalyse von 15 randomisierten Studien mit insgesamt 2.786 Patienten überwiegend auf Intensivstationen (n = 2.033) zur Prävention beitragen:
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Am 2. April 2024 ist das Basispatent des seit 2008 erhältlichen direkten „neuen“ oralen Antikoagulans (NOAK) Rivaroxaban (XARELTO) ausgelaufen. Seitdem ermöglichen Generika mit 2,5 mg Rivaroxaban abhängig von der Packungsgröße nach Listenpreisen Preiseinsparungen von 42% bis 72% (zum Teil bestehen bereits Rabattverträge). Die 2,5-mg-Zubereitung macht allerdings lediglich rund 7% der Gesamtaufwendungen für XARELTO zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aus.
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2015 haben wir von der Prophylaxe rezidivierender Harnwegsinfektionen mit D-Mannose abgeraten. Basierend auf einer damals vorliegenden positiven, aber möglicherweise verzerrten offen randomisierten Studie hielten auch deren Autoren weitere Untersuchungen für erforderlich (a-t 2015; 46: 88-9). Nun liegt eine pragmatisch in der Primärversorgung durchgeführte Doppelblindstudie aus Großbritannien vor. 598 im Mittel 58 Jahre alte Frauen mit wenigstens zwei- bzw. dreimaliger Vorstellung wegen Harnwegsinfektion innerhalb der letzten sechs bzw. zwölf Monate nehmen teil.
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Nach Ocrelizumab (OCREVUS; a-t 2018; 49: 33-5) und Ofatumumab (KESIMPTA; e a-t 11/2021b) ist mit Ublituximab (BRIUMVI) seit Februar 2024 der dritte Anti-CD20-Antikörper zur immunmodulierenden Therapie Erwachsener mit aktiver schubförmiger Multipler Sklerose (MS) im Handel. Ocrelizumab darf im Unterschied zu den beiden anderen außerdem bei früher primär progredienter MS angewendet werden. Ublituximab wird wie Ocrelizumab intravenös infundiert, Ofatumumab subkutan injiziert.
EIGENSCHAFTEN: Ublituximab ist ein chimärer (humaner und muriner Anteil) monoklonaler Antikörper, der an das Oberflächenantigen CD20 bindet und damit zur Lyse CD20-positiver (B-)Zellen führt, deren Reduktion immunmodulierend wirken soll.
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Falls menopausal bedingte Hitzewallungen medikamentös behandelt werden sollen, sind Östrogene meist in Kombination mit Gestagenen der Standard. Hierzulande hatten bislang neben zweifelhaften pflanzlichen Mitteln wie Cimicifuga (REMIFEMIN, Generika) nur hormonelle Wirkstoffe eine entsprechende Zulassung. Seit Februar 2024 ist mit dem Neurokinin-3 (NK3)-Rezeptorantagonisten Fezolinetant (VEOZA) ein neues Wirkprinzip zur Behandlung moderater bis schwerer vasomotorischer Symptome (Hitzewallungen) in Verbindung mit der Menopause im Handel.
EIGENSCHAFTEN: Die Körpertemperatur wird vom Hypothalamus geregelt. Das dort gelegene thermoregulatorische Zentrum wird von Kisspeptin-, Neurokinin-B- und Dynorphin (KNDy, sprich: Candy)-Neuronen innerviert, die von Östrogen gehemmt und dem Neuropeptid Neurokinin B stimuliert werden. Neurokinin B, das in erster Linie über den Neurokinin-3-Rezeptor wirkt, soll eine wichtige Rolle bei der Entwicklung menopausaler Hitzewallungen haben. Der NK3-Antagonist Fezolinetant blockiert die Bindung von Neurokinin B an die KNDy-Neuronen.
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Infektionen durch die grampositiven Stäbchen Listeria monocytogenes werden meist durch kontaminierte rohe Lebensmittel übertragen, beispielsweise Salat, Wurst oder Rohmilchkäse. Gefährdeten Menschen mit reduzierter Immunabwehr und Schwangeren werden unter anderem vegane Käsezubereitungen empfohlen. Französische Autoren informieren jetzt über insgesamt acht schwerwiegende invasive Listeriosen, die innerhalb weniger Monate in Frankreich (n = 5), Belgien, Deutschland und den Niederlanden in Verbindung mit veganem Käse bekannt geworden sind.
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Im Juli 2023 hat die europäische Arzneimittelagentur EMA mitgeteilt, dass der europäische Pharmakovigilanzausschuss PRAC auf Veranlassung der isländischen Arzneimittelbehörde ein Risikosignal für Suizidalität in Verbindung mit GLP-1-Agonisten wie Liraglutid (SAXENDA, VICTOZA) prüft und dafür unter anderem 150 entsprechende Verdachtsmeldungen auswertet. Jetzt liegt das Ergebnis vor: Nach Einschätzung des PRAC weisen die derzeit verfügbaren Daten nicht auf einen Kausalzusammenhang zwischen der Anwendung der Inkretinmimetika und suizidalen oder selbstverletzenden Gedanken oder Handlungen hin. Neben Spontanberichten hat der Ausschuss für seine Bewertung zwei Kohortenstudien herangezogen.
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Die großen Studien zum mortalitätssenkenden Nutzen der Langzeittherapie mit Betablockern nach akutem Herzinfarkt wurden überwiegend Mitte der 1970er und Anfang der 1980er Jahre publiziert. Sie stammen somit aus einer Zeit, bevor die akute Revaskularisierungstherapie, inzwischen vor allem mittels perkutaner Koronarintervention (PCI), Standard wurde und als es die heutige antithrombotische und Statintherapie noch nicht gab. Ausnahme ist die 20 Jahre später veröffentlichte CAPRICORN-Studie, die allerdings nur Herzinfarktpatienten mit linksventrikulärer Auswurffraktion von höchstens 40% aufgenommen hat.
Zum Stellenwert der Betablockade im Rahmen der modernen Infarkttherapie bei Patienten ohne eingeschränkte linksventrikuläre Auswurffraktion fehlen dagegen aussagekräftige Daten. Beobachtungsstudien zur Frage kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen.
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Morbus DUPUYTREN ist eine langsam fortschreitende Erkrankung des Bindegewebes der Hohlhand mit möglicher Ausbildung von Beugekontrakturen betroffener Finger. In einer pragmatischen multizentrischen Studie (DETECT) werden nun erstmals
drei Behandlungsstrategien randomisiert verglichen. Die 302 Teilnehmenden (81% Männer) sind im Mittel 65 bis 66 Jahre alt, haben ein bislang unbehandeltes Streckdefizit von mindestens 20° (Grund- und/oder Mittelgelenk mindestens eines Fingers, abgesehen vom Daumen), maximal 135° Beugekontraktur (durchschnittlich 61° bis 65°) und einen tastbaren Bindegewebsstrang. Sie werden entweder offen chirurgischer Entfernung von erkranktem Gewebe (limitierte Fasziektomie), Injektion von Kollagenase (XIAPEX, seit 2012 hierzulande außer Handel; a-t 2012; 43: 13-4) oder perkutaner Nadelfasziotomie (Durchstechung des Strangs mit Kanüle) zugeteilt.
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In der DEGAM-Leitlinie zur chronischen Gicht wird Vitamin C als mögliche Behandlungsoption der Hyperurikämie erwähnt. Ihre Einschätzung würde mich interessieren.
N.N. (Name etc. in a-t 4/2024 genannt)
Nach der 2020 publizierten S2e-Leitlinie „Häufige Gichtanfälle und chronische Gicht“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) „könnte“ zur Senkung des Harnsäurespiegels in Einzelfällen eine Vitamin-C-Einnahme erwogen werden. Eine Dosierung von täglich 500 mg (mittlere Dosis in Studien) gelte dabei als sicher. Die Autoren halten jedoch fest, dass unklar ist, ob darunter weniger Gichtanfälle auftreten und, wenn ja, nach welcher Behandlungsdauer damit zu rechnen ist. Der Effekt auf den Harnsäurespiegel sei zudem klein.
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Die kanadische Arzneimittelbehörde Health Canada weist aktuell auf mögliche Leberschäden und schwerwiegende Hautreaktionen unter dem Lipidsenker Ezetimib (EZETROL, Generika) hin. Sie stützt sich dabei auf eine Auswertung internationaler Sicherheitsdaten, bei der 42 Verdachtsberichte über Leberschäden identifiziert wurden, darunter ein kanadischer Bericht unter Monotherapie.
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Seit November 2023 wird der GLP-1- und GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Polypeptid)-Rezeptoragonist Tirzepatid (MOUNJARO; a-t 2023; 54: 91-2) in Deutschland als Antidiabetikum angeboten. Seit Dezember 2023 ist er auch als Zusatz zu Lebensstilveränderungen zur Gewichtsabnahme Erwachsener zugelassen, bei Adipositas (Body-Mass-Index [BMI] ≥ 30 kg/m) oder bei Übergewicht mit einem BMI ab 27 kg/m in Kombination mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung. Damit ist Tirzepatid nach den reinen GLP-1-Agonisten Semaglutid (WEGOVY; a-t 2023; 54: 57-61) und Liraglutid (SAXENDA; a-t 2016; 47: 47-8) das dritte inkretinbasierte Antiadipositum im Handel.
EIGENSCHAFTEN: GLP-1- und GIP-Rezeptoren sollen unter anderem in Bereichen des Gehirns exprimiert werden, die für die Appetitregulierung wichtig sind. GLP-1 wird als physiologischer Regulator des Appetits und der Kalorienaufnahme angesehen. Nichtklinische Studien deuten darauf hin, dass der Zusatz von GIP einen Beitrag zur Regulierung der Nahrungsaufnahme leisten könnte.
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Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) spricht eine starke Empfehlung gegen („soll nicht“) den routinemäßigen Einsatz einer dualen Plättchenhemmung bei akutem ischämischen Schlaganfall aus und nur eine offene Empfehlung („kann“) für ausgewählte Patienten mit „leichten“ ischämischen Insulten oder transitorisch ischämischen Attacken (TIA) mit hohem Schlaganfallrisiko, die keine systemische Thrombolyse oder endovaskuläre Therapie erhalten haben. Sie verwendet bewusst nicht die etablierte NIHSS -Skala, konkretisiert aber auch nicht, was sie unter „leicht“ versteht. Internationale Leitlinien geben dagegen eine starke Empfehlung („soll“) für eine duale Therapie mit Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN N, Generika) und Clopidogrel (PLAVIX, Generika), wenn bei Symptombeginn vor maximal 24 Stunden ein milder ischämischer Schlaganfall mit Punktwerten von 0 bis 3 gemäß NIHSS ohne Indikation zur Thrombolyse wegen „behindernder“ Symptome vorliegt oder eine TIA mit erhöhtem Schlaganfallrisiko (Punktwert im ABCD-Score ≥ 4).
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Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic informiert über Beschränkungen bei fenchelhaltigen Arzneimitteln, denen traditionsgemäß unter anderem bei leichten Magen-Darm-Beschwerden entblähende und krampflösende Eigenschaften zugeschrieben werden. Schwangere und Stillende sollen demnach keinen Fencheltee und auch keine anderen Arzneimittel mit Fenchel zusich nehmen, Kinder unter vier Jahren nur in Absprache mit Ärzten oder Apothekern.
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Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic stuft die Fett-weg-Spritze LEMON BOTTLE – auch „Zitronenflasche“ genannt – als illegales Arzneimittel ein. Die Injektionslösung zur Lipolyse wird im Internet sowie in sozialen Medien wie TikTok und Instagram als „natürliches Produkt“ und Alternative zur Fettabsaugung bei Fettablagerungen an so genannten Problemzonen wie Doppelkinn, Oberschenkel u.a. angepriesen. Die medizinische Wirksamkeit von LEMON BOTTLE ist wissenschaftlich nicht belegt.
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In den letzten Wochen wurden wir mehrfach gefragt, ob die Anwendung von Parazetamol (BEN-U-RON, Generika) zur Linderung von Fieber und Schmerzen bei Säuglingen und Kindern das Risiko für Autismus erhöhen kann. Hintergrund ist ein Anfang 2024 publiziertes Review, in dem die Autoren „ohne begründeten Zweifel und ohne Beweise für das Gegenteil zu dem Schluss kommen, dass die Exposition empfindlicher Babys und Kinder gegenüber Parazetamol viele, wenn nicht sogar die meisten Autismus-Spektrum-Störungen verursacht.“ Die Evidenz für einen Kausalzusammenhang stufen sie als „überwältigend“ ein. Die als Beleg herangezogenen Daten sind allerdings alles andere als überzeugend:
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Mit dem Ende März 2024 vom Bundeskabinett beschlossenen Gesetzentwurf des Medizinforschungsgesetzes (MFG) kommt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) langjährigen Forderungen der Pharmaindustrie entgegen. Das Gesetz soll die Rahmenbedingungen für den Forschungsstandort Deutschland verbessern. Einer der umstrittenen und inzwischen viel kritisierten Aspekte des Entwurfs ist das Vorhaben, Anbietern neu zugelassener patentgeschützter Arzneimittel eine Option auf Vertraulichkeit über die mit dem GKV-Spitzenverband ausgehandelten Erstattungsbeträge einzuräumen. Der Gesetzgeber vertraut dabei der Behauptung der pharmazeutischen Industrie, dass Anbieter hierzulande höhere Preisabschläge einräumen könnten, wenn die ausgehandelten Erstattungsbeträge geheim blieben. Für diesen Mechanismus finden wir keine Evidenz.
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